Selbstporträts
mit Geweih
Brigitta Maria Lankowitz liegt auf der Lauer, sie belauert sich selbst. Ganz ruhig sitzt die Fotografin da, möglichst bewegungslos, eine Dreiviertelstunde lang. Ein Bild. Mit der Kamera, vor der sie sitzt. Sie ist auf der Jagd. Aber sie schießt nicht mit dem Gewehr, sie zielt mit der Camera obscura. Ein länglicher, schwarzer Kasten. Vorne ein kleines, nadeldünnes Loch. Hier ist es nicht die Kugel, die die Gegenwart durchtrennt, sondern das Licht. Jäger und Gejagtes: Brigitta Maria Lankowitz ist beides zugleich. In ihren Kasten hat sie vorher im Dunkeln ein Fotopapier eingelegt. Jetzt ist das Licht wieder an und zwängt sich durch das winzige Loch, erkundet den schwarzen Raum dahinter, trifft auf das Fotopapier und zeichnet darauf, wo es her kam. In Schwarz-Weiß. Ein Selbstporträt der Künstlerin. Der Künstlerin mit Geweih. Der Hirsch ist lange erlegt, Brigitta Maria Lankowitz hat ihn nicht geschossen, aber sie holt sein Geweih mitsamt Schädel in ihre Serie von Selbstporträts. Sie hält es an einer Hand oder nimmt es auf den Schoß. Mal wirkt es fest und massiv, mal zart und fragil oder sogar wie eine flackernde Flamme. Ein Licht, das weit aus der zurückliegenden Zeit zu stammen scheint, beschwörend, mystisch, wie in einer anderen Welt. Der Welt, in der wir als Beobachter sitzen, wenn wir diese Bilder ansehen. Als säßen wir selbst im schmalen, langen Kasten der Camera obscura. Und schauen der Künstlerin beim Spiel mit der Zeit zu. Beim Neuordnen der Assoziationen. Und überlegen, wie ihr das gelingt, dass sie mit dem Geweih, mit dem sie zu verschmelzen scheint, überhaupt nichts vom Imponiergehabe, vom Recht des Stärkeren zum Ausdruck bringt. Sondern vom Rätsel des Lebens, des Augenblicks, der Kunst. Stille Bilder, ganz ohne Ich-Geschrei. Wie eine Meditation, nachdenklich, zurückgenommen, liebevoll. Ein So-könnte-es-auch-sein. Röhre mich nicht an! Der Künstler als kapitaler Zwölfender, brünftiger Platzhirsch, den es auf dem Kunstmarkt zu erlegen gilt. Brigitta Reuter – so ihr bürgerlicher Name –, geboren in Maria Lankowitz, Österreich, hat an der Photoakademie in Graz studiert. Und das Geweih aus ihren Selbstporträt-Fotografien zeigt sie uns auch in natura. Brigitta Maria Lankowitz hat es mit Mullbinden umwickelt. Weich sieht es aus, das Horn, nicht mehr aggressiv, keine Waffe, eher verletzlich, empfindlich. Und das Geweih ist geborgen, ist in einem Sack aus Luftpolsterfolie – als hätte man beim Aufstellungsaufbau vergessen, es auszupacken. Aber so liegt es eben wie unter einer Decke – „Winterhirsch“ nennt die Künstlerin ihre Arbeit –, einer Decke aus Schnee, einer Schneewehe. Ein Geweih, eben nicht an der Wand, nicht in der verrauchten Jagdstubn-Männergesellschaft, sondern ummantelt und in Schutz genommen. Und auch diese Arbeit ist eine Art Selbstporträt der Künstlerin. „Du hast eine Figur wie ein Sack mit Hirschgeweih“, hat ihre Mutter immer zu ihr gesagt – zu ihrer Tochter, ihrem Kind, das ihr wohl so dürr und eckig erschien als Backfisch.
Nikolai Vogel, 2014